L’alsace et le rhin supérieur au Moyen Âge / Elsass und Oberrhein im Mittelalter

L’alsace et le rhin supérieur au Moyen Âge / Elsass und Oberrhein im Mittelalter

Organisatoren
Olivier Richard, Université de Strasbourg
Ort
Mulhouse
Land
France
Vom - Bis
03.06.2016 - 04.06.2016
Url der Konferenzwebsite
Von
Eva-Maria Cersovsky, a.r.t.e.s. Graduate School for the Humanities Cologne, Mittelalterliche Geschichte, Universität zu Köln

Einhörner, Zünfte, Häretiker und Gesandte – diese und ähnlich vielfältige Themen vereinte die am 03. und 04. Juni 2016 an der Université de Haute-Alsace Mulhouse unter der Leitung von Olivier Richard veranstaltete Doktorandentagung in ihrem Programm. Die thematische Klammer bildete der allen Vorträgen gemeinsame geographische Untersuchungsraum: das Elsass und/oder der Oberrhein. Nach diesem mittlerweile bewährten Konzept versammelten sich junge Wissenschaftler/innen aus Deutschland, Frankreich und der Schweiz, um ihre Dissertationsprojekte oder Aspekte dieser auf Französisch wie Deutsch zu präsentieren und diskutieren.

Dieser interdisziplinäre, internationale Rahmen wurde einleitend für eine kurze Vorstellung des Centre de compétences transfrontalières NovaTris genutzt. ANETTE PASTEAU (Mulhouse) unterstrich das Ziel des Zentrums, interkulturelle Kompetenzen zu fördern und durch grenzüberschreitende Studienangebote und Forschung eine fachbereichsübergreifende, interkulturelle Gemeinschaft schaffen zu wollen.1

Im Anschluss eröffnete CLEMENS REGENBOGEN (Freiburg) mit einer Vorstellung seines Promotionsprojektes zu politisch-sozialen Dimensionen von Herrschaft im staufischen Burgund zwischen 1180 und 1227 die Vortragsreihe. Ausgehend von der Feststellung, dass es sich bei der Wende zum 13. Jahrhundert um eine Umbruchszeit, gekennzeichnet durch die Ausbildung der Gruppe der Reichsfürsten, Tendenzen der Territorialisierung von Herrschaft, Veränderungen der Lehnsbeziehungen sowie eine Zunahme adliger Konflikte, handele, soll das Dissertationsvorhaben diese „Problemfelder“ exemplarisch am Beispiel der Pfalzgrafschaft als „Schlüsselregion des Stauferreiches“ einer systematischen Untersuchung unterziehen. Im Zentrum seiner Analyse stehen dabei Fragen nach Rang und Rangverständnis der Pfalzgrafen, nach Instrumenten, Möglichkeiten und Grenzen von Herrschaft sowie nach Konflikten in und um Burgund. Regenbogen zielt darauf ab, ein weit gespanntes Themenspektrum zu vereinen, das unter anderem von Elementen herrschaftlicher Repräsentation in der materiellen Kultur über die Handlungsspielräume weiblicher Fürstinnen bis hin zu Konstituierungs- und Auflösungsprozessen von Konfliktparteien reicht.

Auch der Beitrag von SVEN SCHOMANN (Freiburg) widmete sich Formen und Ausrichtungen von Herrschaft im Raum. Aus architekturhistorischer Perspektive diskutierte Schomann die Positionierung Graf Rudolfs IV. von Hachberg-Sausenberg (um 1427-1487) zwischen Burgund und Rötteln bei Lörrach, welches seit dessen Großvater Rudolf III. als Herrschaftszentrum der Grafen fungierte. Mit Hinweis auf das Ausmaß der baulichen Aktivitäten Rudolfs IV. in Weitenau, Schopfheim sowie Rötteln, vertrat Schomann die These, dass der Graf sich nicht vollständig von seinem Stammsitz abgewandt, sondern seine Herrschaft am Oberrhein trotz häufiger Anwesenheit am burgundischen Herzogshof konstant ausgeübt habe. Schomann legte dar, dass Rudolfs „bauliches Erbe“, die von ihm gestifteten Sakralbauten sowie die an der Burg Rötteln vorgenommenen Neuerungen, diverse burgundische Bezüge aufgewiesen und der Graf so einen (architektonischen) Spagat zwischen Burgund und dem oberrheinischen Herrschaftsbereich vollbracht habe.

Die Kunsthistorikerin LAURIANE MEYER (Strasbourg) verschob die Perspektive von Fragen nach Herrschaft hin zum Bereich religiöser Repräsentationen. In ihrem Vortrag fokussierte sie die religiöse Bedeutung der Jagd in ikonographischen Darstellungen entlang des Rheins. Anhand verschiedener Beispiele formulierte sie die These, dass sich die Jagd im Hoch- wie Spätmittelalter als ein Weg, geprägt durch die ungewisse Ankunft am gewünschten Ziel, verstehen lasse. Ob in Jagdmanualen, höfischen Jagdszenen oder Heiligenlegenden, die Jagd fungiere stets als ein Motor, mithilfe dessen ein höheres Gut, wie Liebe, Weisheit oder die Vereinigung mit Gott, erreicht werden könne. Mit der Entstehung der Einhornjagd als Allegorie der Verkündigung sei dies noch einmal verstärkt worden: Vom Jäger Gabriel mit seinen Hunden in den Schoß der Jungfrau gejagt wurde das Einhorn zur symbolischen Verkörperung Christi.

Mit Aspekten der Kirchen- und Religionsgeschichte beschäftigte sich auch der Vortrag von MARIA TRANTER (Basel). Sie wandte sich gegen die These von der freigeistlichen Häresie als einer rein inquisitorischen Konstruktion und argumentierte für ein Verständnis als religiöse Bewegung im Sinne Herbert Grundmanns.2 Gerade das Ausmaß der Verbreitung des zentralen Gedankens dieser vermeintlichen Sekte, die Möglichkeit, einen Zustand der Vollkommenheit über eine Vereinigung mit Gott und ohne die kirchliche Mittlerfunktion zu erreichen, spreche dafür. Tranter zeichnete nach, wie sich das Wissen über die freigeistliche Häresie, vermischt mit der Gruppe der Begarden, entlang des Rheins über Mainz, Köln, Trier und Straßburg sowie das Konzil von Vienne im 13. und 14. Jahrhundert in Dekreten oder Inquisitionsprotokollen verbreitete und plädierte für eine detailliertere Untersuchung der verschiedenen Überlieferungen der freigeistlichen Glaubensartikel, um weitere Fragen zu Formen der Wissensproduktion und -verbreitung beantworten zu können.

Die Nekrologien und Rechnungsbücher religiöser Institutionen der Diözese Straßburg zwischen 1450 und 1530 standen im Mittelpunkt des Vortrags von ANNE RAUNER (Strasbourg / Freiburg). Angesichts der vielfältigen Verbindungen zwischen Jahrzeit- und Rechnungsbüchern stellte sie die These auf, dass es sich hier um ein dokumentarisches Netzwerk handle, über das Informationen transferiert worden seien. Rauner erläuterte, dass Rechnungsbücher nicht nur Auskünfte über die Herstellung von Obituarien sowie Einnahmen durch und Ausgaben für Jahrzeiten boten, sondern zum Teil auch intertextuelle Verweise lieferten, um einzelne Jahrzeiten innerhalb eines bestimmten Obituars ausfindig zu machen. Die Entwicklung, Jahrzeiten deutlich gekennzeichnet unter spezifischen Rubriken aufzuführen, lasse sich als Rationalisierungstendenz innerhalb der Buchhaltung und Optimierungsversuch der Verwaltung von memoria verstehen. Die Jahrzeitbücher seien wiederum nicht nur liturgische Bücher, sondern ebenso wertvolle Referenztexte für die Administration von Jahrzeiten, in denen sich darüber hinaus oft selbst Spuren von Verwaltungsschriftgut finden ließen.

Im Fokus der weiteren Vorträge stand der urbane Raum, namentlich die Städte Freiburg und Straßburg. Sowohl Ina Serif als auch Clemens Joos beschäftigten sich mit städtischer Geschichtsschreibung, verfolgten allerdings ganz unterschiedliche Fragestellungen. INA SERIF (Freiburg) präsentierte ihr Promotionsprojekt, das anhand einer Analyse der Produktion und Rezeption der Straßburger Chronik Jakob Twingers von Königshofen (1346-1420) sowie ihrer Überlieferungszeugen neue Einsichten bezüglich der Funktionen und Funktionsangebote städtischer Chronistik liefern soll. Dabei ging Serif von der Grundannahme aus, dass städtische Geschichtsschreibung einen dynamischen Teil des Gedächtnisses einer Stadt darstellte und daher in neuen Kontexten Aktualisierungen und Veränderungen erfahren sowie auslösen konnte. Unter den Schlagworten Aneignung, Vernetzung und (Re-)funktionalisierung sollen daher die Art und Weise und die Kontexte des Ab-, Fort- oder Umschreibens sowie mögliche Veränderungen durch neue Gebrauchs- und Überlieferungszusammenhänge der 120 bekannten, geographisch weit verstreuten Überlieferungsträger der Twinger Chronik erschlossen werden. In ihrem Vortrag zeigte Serif, dass sich auch anhand des Aufbewahrungskontextes Fragen nach der potenziellen Leserschaft der Chronik und der Bedeutung dieser für die städtische Gesellschaft ausloten lassen.

CLEMENS JOOS (Freiburg) untersuchte die 1514 durch den Freiburger Münsterkaplan Johannes Sattler (1470-1523) angefertigte „Cronica von den hertzogen von Zäringen, stüffter der stadt Freyburg im Breyßgaw“ als Ausdruck städtischer Identität und Anfangspunkt einer Zähringer-Historiographie. Die Chronik Sattlers stehe im Kontext der „Zähringer-Renaissance“ des beginnenden 16. Jahrhunderts, in deren Rahmen auch in Freiburg die Herrschaft der 1218 ausgestorbenen Herzöge neu erinnert worden sei. In einer Orientierung an genealogischen Herrschaftsrepräsentationen Kaiser Maximilians I. sei die Chronik Sattlers als Auftragsarbeit einer städtischen Führungsschicht entstanden, die das Wissen über die Zähringer zum Nutzen der Stadt gesammelt, verschriftlicht und erklärt sehen wollte. Die Ausrichtung auf den Kaiser lasse sich auch in einer der Hauptquellen Sattlers erkennen: der „Fürstlichen chronick, kayser Maximilians Geburtsspiegel genant“ des Jakob Mennel (gest.1522), an der Sattler mitgearbeitet zu haben scheint. Unter Hinzunahme weiterer Quellen aus dem Schwarzwälder Kloster St. Peter sowie städtischem Schriftgut habe die Chronik ihre Funktion als „Stadtgeschichte entlang der Geschichte ihrer Stadtherren“ erfüllt.

SIMON LIENING (Köln) wandte sich einem weiteren Aspekt städtischer Geschichte, den Gesandten, zu. In seinem Vortrag zu Zuständigkeiten und Konkurrenzen innerhalb des Straßburger Gesandtschaftswesens zwischen 1400 und 1420 konnte er die Forschungsmeinung relativieren, vor allem das Neuner bzw. spätere Dreizehner Gremium sei für die Organisation von Außenpolitik und Instruktion der städtischen Gesandten verantwortlich gewesen. Gesandtenberichte, weitere städtische Korrespondenz, Instruktionen und Protokolle zeigten, so Liening, keine zentrale Festlegung von Kompetenzen, sondern wiesen vielmehr auf die Beteiligung unterschiedlicher Gremien und Akteure sowie auf eine Verteilung nach nicht eindeutig feststellbarem Muster hin. Für diese Variabilität der Zuständigkeiten seien auch die Gesandten selbst verantwortlich gewesen: Sie adressierten ihre Berichte nicht nur an das Neuner respektive Dreizehner Gremium, sondern auch an den Ammeister und andere Gremien und entschieden damit jedes Mal aufs Neue, wer wann Informationen und Verantwortlichkeiten erhielt. Der Rat der Stadt sei allerdings in allen Fällen benachrichtigt worden. Eine weitere Konstante der Organisation und Durchführung der Straßburger Gesandtschaften habe auch die paritätische Zusammensetzung aus Mitgliedern der Zünfte und des Patriziats dargestellt. Dass die Konkurrenz dieser beiden Gruppen damit nicht vollständig behoben war, zeigte Liening anhand von Parallelkorrespondenzen der Zünfte, die den patrizischen Gesandten so Informationen vorzuenthalten versucht hätten.

Konfliktverhältnisse innerhalb der Straßburger Gesellschaft des späten Mittelalters beleuchtete auch KRISTIN ZECH (Darmstadt). Sie gab anhand der Auseinandersetzungen zwischen Scherern und Kornkäufern sowie Wagnern und Zimmerleuten Einblicke in die Logik und Herausforderungen der Neugruppierungen von Zünften in Folge der Straßburger Zunftreduktionen des Jahres 1482. Zech zeigte, dass vor allem finanzielle Fragen, Fragen der politischen Partizipation, der Nutzung der Trinkstube oder der Sichtbarkeit der eigenen Gruppe in Namen und Symbolen der neu zusammengeschlossenen Zünfte als Konfliktauslöser fungierten. So legte sie dar, dass der Zusammenschluss der Scherer und Kornkäufern zunächst vor allem deswegen konfliktfrei verlaufen sei, da die Scherer bei ihrer Bitte um Aufnahme versprachen, sich den angeseheneren und finanzstärkeren Kornkäufern unterzuordnen, und der Name der neuen Zunft ihre kollektive Identität widerspiegelte, indem er sich an der Trinkstube „Zur Luzern“ und nicht den einzelnen Handwerken orientierte. 43 Jahre später kam es 1526 dennoch zum Konflikt: Aufgrund des gestiegenen Ansehens ihres Berufsstandes strebten die Scherer nun eine größere politische Beteiligung an. Bei der Neugruppierung von Wagnern und Zimmerleuten habe die mangelnde soziale Sichtbarkeit der Zimmerleute Ursache für Konflikte geboten: Zunftname und -banner repräsentierten lediglich die ehemalige Wagnerzunft und auch in gerichtlichen wie fiskalen Belangen habe diese Vorteile besessen. Zech betonte, dass ähnliche Auseinandersetzungen bereits vor der Zunftreduktion in anderen Sammelzünften aufgetreten seien, der Zusammenschluss verschiedener Handwerke in einer Zunft allerdings nicht zwangsläufig zu Konflikten führen musste. In der Diskussion wurde die Frage aufgeworfen, inwiefern neben Größe, finanzieller Stärke und Ansehen der Zünfte auch familiäre oder räumliche Verbindungen für Neugruppierungen eine Rolle spielen könnten.

In einem abschließenden Schlusswort verband OLIVIER RICHARD (Strasbourg) die Hoffnung auf ein Fortbestehen des Tagungskonzeptes mit dem Wunsch, das Elsass als Region stärker zum Gegenstand mediävistischer Forschung zu machen sowie Nachwuchswissenschaftler/innen aus dem elsässischen Raum wieder vermehrt in den Forschungsdiskurs einzubeziehen. Eine Weiterführung der Doktorandenkolloquien zur Geschichte des Elsass und des Oberrheins wäre in der Tat wünschenswert: Die diesjährige Tagung hat nicht nur ihr Ziel, interdisziplinären wie internationalen Austausch junger Forscher/innen zu fördern, erreicht, sondern auch erneut bewiesen, dass die Kategorie Raum als verbindendes Element eine geeignete Grundlage darstellt, um bei unterschiedlichen Fragestellungen, methodischen Zugängen und Zeiträumen der vorgestellten Projekte spannende Diskussionen zu führen.

Konferenzübersicht :

Accueil et présentation de NovaTris:
Olivier Richard (Strasbourg), Annette Pasteau (Mulhouse)

Présidente de séance: Odile Kammerer (Mulhouse)

Clemens Regenbogen (Freiburg): Rang, Herrschaft und Konflikt im staufischen Burgund – Pfalzgraf Otto und sein Erbe (1180-1227)

Lauriane Meyer (Strasbourg): La chasse au cerf et sa signification religieuse

Présidente de séance: Jürgen Dendorfer (Freiburg)

Ina Serif (Freiburg): Städtische Geschichtsschreibung in neuen Kontexten. Vernetzung, Aneignung, (Re-)Funktionalisierung am Beispiel der Chronik Jakob Twingers von Königshofen

Anne Rauner (Strasbourg/Freiburg): Écrits nécrologiques et registres comptables dans le diocèse de Strasbourg à la fin du Moyen Âge

Simon Liening (Köln): Gruppen – Ämter – Gremien. Zuständigkeit, Kompetenz und Konkurrenz im Straßburger Gesandtschaftswesen

Kristin Zech (Darmstadt): „Sol man sie dann zu andern antwercken uff ir stuben stossen und ordenen“ Zunftreduktionen in Straßburg, Colmar und Schlettstadt

Présidente de séance: Sabine von Heusinger (Köln)

Maria Tranter (Basel): „Ubi spiritus Domini, ibi libertas“ – Verschiedene Blicke auf das Phänomen der freigeistlichen Häresie

Delphine Bauer (Mulhouse): La céramique de poêle du château du Petit Arnsberg, Obersteinbach (67100) (Vortrag entfallen)

Sven Schomann (Freiburg): Rudolf IV. von Hachberg-Sausenberg als marquis de Rothelin und die Ausrichtung der Herrschaft nach Burgund – Kontinuität oder Wendepunkt?

Clemens Joos (Freiburg): Freiburg 1514 – eine Stadt sucht ihre Identität

Courte discussion finale

Anmerkungen:
1 Für weiterführende Informationen vgl. die Homepage von NovaTris: <http://www.novatris.uha.fr/> (25.10.2016).
2 Herbert Grundmann, Religiöse Bewegungen im Mittelalter. Untersuchungen über die geschichtlichen Zusammenhänge zwischen der Ketzerei, den Bettelorden und der religiösen Frauenbewegung im 12. und 13. Jahrhundert und über die geschichtlichen Grundlagen der deutschen Mystik (=Historische Studien 267), Darmstadt 1935.


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